Sinfonische Orgelmusik nach 1870 zwischen Sakralität, Profanität und Nationalismus
Ein deutsch-französischer Vergleich
DOI:
https://doi.org/10.52412/mf.2017.H2.351Abstract
Im deutsch-französischen Vergleich fällt auf, dass trotz oder gerade wegen einer ungebrochenen sinfonischen Tradition, aufgrund derer der Begriff des Sinfonischen bzw. des "sinfonischen Stils" überhaupt erst entstanden ist, zwar sinfonische Aspekte, nicht jedoch die Orgelsinfonie als Gattungsbezeichnung Eingang in die deutsche konzertante Orgelmusik fanden. In Frankreich dagegen, wo die Sinfonie als die repräsentative Gattung des Sinfonischen im 19. Jahrhundert im Vergleich zur Oper nur eine Nebenrolle spielte, etablierte sich mit der Orgelsinfonie eine neuartige, spezifisch französische Gattung. Es wird der Frage nachgegangen, wie es zu dieser paradoxen gattungsgeschichtlichen Situation kommen konnte. Dazu wird im ersten Teil betrachtet, unter welchen musik- und kulturhistorischen Voraussetzungen das Sinfonische und die Sinfonie in Frankreich seit den 1870er Jahren an Bedeutung gewinnen und die Gattung der Orgelsinfonie, wie sie von Charles-Marie Widor (1844-1937) entwickelt wurde, entstehen konnte. Im zweiten Teil stehen Aspekte des Sinfonischen in der deutschen Orgelmusik im Mittelpunkt, wofür am Ende des Jahrhunderts das Orgelwerk von Max Reger (1874-1916) repräsentativ ist. Die unterschiedlichen Entwicklungen in den beiden Orgelnationen im Hinblick auf sinfonische Orgelmusik reflektieren das Spannungsfeld aus Sakralität, Profanität und Nationalismus, in dem sich die jeweilige Orgelmusikproduktion jener Epoche bewegte.