"ett stycke typisk Gebrauchsmusik"
Jean Sibelius' Kompositionen für die Universität Helsinki
DOI:
https://doi.org/10.52412/mf.2008.H1.479Abstract
Jean Sibelius hat mehrere z.T. großbesetzte Kompositionen für die Universität Helsinki geschrieben. Nicht alle davon sind vollständig erhalten. Es gilt zunächst zu unterscheiden zwischen denjenigen Stücken, die für prominente Studentenchöre wie die Ylioppilaskunnan Laulajat (YL) oder Suomen Laulu (S.L.) entstanden, und den Gelegenheitswerken, die für bestimmte akademische Feierlichkeiten komponiert wurden. Zu den letztgenannten Werken gehören zwei Kantaten, die Sibelius für Promotionsfeiern in den Jahren 1894 und 1897 schrieb und die von professionellen Musikern im Festsaal der Universität aufgeführt wurden. Zwar war es seinerzeit in Nordeuropa anders als in Kontinentaleuropa durchaus üblich, daß für solche Anlässe eigens Werke geschrieben wurden, doch war der Aufwand, den man in Helsinki trieb, selbst für nordeuropäische Verhältnisse enorm. Wie eine Analyse von Text und Musik der Promotionskantate JS 105 von 1894 zeigt, handelte es sich dabei offensichtlich nicht nur um eine akademische, sondern zugleich auch um eine verdeckte patriotische Feier, so wie sie in den souveränen europäischen Staaten zur Zeit der Jahrhundertwende gang und gebe, im seinerzeit zu Rußland gehörenden Großfürstentum Finnland jedoch völlig unstatthaft war. Umgekehrt sind sowohl die Musik als auch die Aufführungsbedingungen der Freuden- und Glückwunschkantate JS 104, die Sibelius 1896 für die akademischen Feierlichkeiten anläßlich der Thronbesteigung von Zar Nikolaus II. schrieb, schon beinahe als subversiv zu bezeichnen, denn sie zeigen recht unverhohlen das Desinteresse von Komponist und Ausführenden bei dieser mehr oder weniger erzwungenen offiziellen Huldigung. Die akademischen Feiern im Finnland der Jahrhundertwende geben also einen recht deutlichen Reflex der damaligen Situation im Lande, die vor allem durch eine sich immer aggressiver gerierende Russifizierungspolitik gekennzeichnet war. Ausgehend von der Qualität von Sibelius' Gelegenheitsmusiken werden abschließend einige Kriterien eruiert, anhand derer sich Unterschiede zwischen seinem Haupt- und Nebenwerk benennen lassen.