Wie das "Hohelied" "Musik" wurde

Autor/innen

  • Jürg Stenzl

DOI:

https://doi.org/10.52412/mf.2007.H2.530

Abstract

Um der Komplexität des Begriffs "Musik" gerecht zu werden, sind "Längsschnitte" durch die Musikgeschichte für die Analyse bestimmter Phänomene zweckmäßig. Weil es in der abendländischen Musikgeschichte bis zum Beginn der Neuzeit primär um textverarbeitende Vokalmusik geht, bieten sich dafür Texte mit einer besonders dichten Rezeptionsgeschichte an. Das trifft vor allem auf biblische Texte, insbesondere das Hohelied, zu. Der im Vergleich zu anderen biblischen Texten ungewöhnliche Inhalt, der mehr von körperlicher Liebe und weniger von Glaubensinhalten zu handeln scheint, muss in einem theologischen Kontext (allegorisch) gedeutet werden. Es stellt sich die Frage, ob und wie derartige Textauslegungen die Musik prägen: wird Musik durch Textverständnisse (mit)bestimmt, oder verhält sie sich neutral. Zunächst werden Hohelied-Antiphonen der ältesten Schicht in der Liturgie der römischen Kirche am Beispiel des Antiphon "Nigra sum sed formosa" untersucht. Anschließend werden wichtige Vertonungen aus der 1. Hälfte des 11. Jahrhunderts am Beispiel von "Anima mea liquefacta est" sowie spätmittelalterliche Antiphone am Beispiel von "Sicut malum inter ligna silvarum" analysiert. Abschließend werden Hohelied-Motetten der späten Ars antiqua vorgestellt. Die Kompositionsgeschichte des biblischen Liebesdialoges im Hohenlied kann - als Längsschnitt durch die Musikgeschichte - Landschaften verschiedenartigster, ähnlicher, analoger, widersprüchlicher "Text-Klang-Konfigurationen" in Raum und Zeit sichtbar, hörbar, verstehbar werden lassen und damit den Horizont auf Gegenwärtiges und Zukünftiges erweitern.

bms online (Beatrix Obal)

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Veröffentlicht

2021-09-22

Zitationsvorschlag

Stenzl, J. (2021). Wie das "Hohelied" "Musik" wurde. Die Musikforschung, 60(2), 129–151. https://doi.org/10.52412/mf.2007.H2.530