Anmerkungen zu Material und Verfahren der Hanns Eisler Gesamtausgabe
DOI:
https://doi.org/10.52412/mf.2003.H4.733Abstract
Hanns Eisler begegnet man häufig mit Skepsis, weil er unter politischem Verdacht steht. Verquickt mit seiner Abneigung gegen ausladende Musizierformen, dem Ineinandergreifen von politischer Überzeugung und ästhetischer Auffassung, fällt es bis heute schwer, Eisler zuerst und zuletzt als Musiker und Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts wahrzunehmen. Weil Eislers ästhetische Programmatik ohne seine gesellschaftskritische Weltsicht undenkbar wäre, sind die Charakteristika Eisler'schen Komponierens den Partituren immer eingeschrieben. Die Faktur der Noten und Schrifttexte birgt jene besonderen Kontexte, durch die sie überhaupt ihre Gestalt gewonnen haben. In der Auseinandersetzung mit Hanns Eisler wird ein kulturelles Klima des frühen zwanzigsten Jahrhunderts lebendig, für das die Ambivalenz selbst Charakteristikum ist. Hanns Eislers Kompositionen spiegeln auf einzigartige Weise den Geist dieser besonderen Epoche. Sie vermitteln in ihrer kompositorischen Komplexität eindrucksvoller ihre Zeitgenossenschaft, als es aufwändige Historiographien leisten können. Die Gesamtausgabe stellt also auch ein spezifisches Milieu in der individuellen Physiognomie des Komponisten dar. Zweck der Gesamtausgabe ist es nicht, Ideologien zu verbreiten. Apologeten und solche Rezipienten, die sich als Anwälte des jeweiligen Autors verstehen, sind bekanntlich keineswegs die besseren Editoren. Aufgabe der historisch-kritischen Edition ist die präzise Dokumentation und Auswertung vorliegender Materialien. Eine ästhetische oder ideologische Bewertung obliegt dem aufmerksamen und kritischen Leser.